In Annaberg-Buchholz wurde am 06.06.2016 zum siebenten Mal der Schweigemarsch für das Leben durchgeführt. Das Bündnis Pro Choice Sachsen rief zu Gegenprotesten auf. Die Demonstration unter dem Motto Emanzipation ist viel geiler – Schweigemarsch stoppen wurde von der Demobeobachtung Leipzig begleitet.
Nachdem es bereits im letzten Jahr zu Übergriffen seitens der Polizei gekommen war, mussten auch in diesem Jahr wieder Eingriffe in die Grundrechte der Teilnehmenden festgestellt werden.
Bereits zu Beginn zeichnete sich ein unangemessen einschränkender Umgang der Einsatzkräfte mit der Versammlung ab. Als sich die Demonstration an einem Parkplatz an der Geyersdorfer Straße 22 sammelte, wurde der größte Teil der zu Fuß anreisenden Personen einer Identitätsfeststellung unterzogen und/oder ihre mitgeführten Taschen detailliert durchsucht. Geeignete Begründungen für dieses Vorgehen konnten nicht genannt werden. Als Erklärung wurde etwa herangezogen, dass dies bei Demonstrationen „immer so gemacht werde“. Bei einem Betroffenen wurdedie Identitätsfeststellung mit vermutetem Betäubungsmittelbesitz begründet, die Person dann aber nicht durchsucht. Gegenüber anderen Personen wurde geäußert die Kontrollen seien verdachtsunabhängig. Weiterhin wurde auf die Nähe zur tschechisch-deutschen Grenze abgestellt, § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 Sächsisches Polizeigesetz (SächsPolG). Die Kontrollen dienten aber erkennbar nicht dem vom Gesetz geforderten Zwecke der vorbeugenden Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität. Umso bedenklicher ist dies, da eine polizeiliche Durchsuchung im Vorfeld einer Versammlung geeignet ist eine einschüchternde, diskriminierende Wirkung zu entfalten, die Teilnehmer*innen in den Augen der Öffentlichkeit als möglicherweise gefährlich erscheinen zu lassen und damit potentielle Versammlungsteilnehmer*innen von einer Teilnahme abzuhalten (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.05.2010 – 1 BvR 2636/04). Bei Demobeobachter*innen wurde die Identitätsfeststellung mit einer Abfrage der polizeilichen Fahndungssysteme (Informationssystem der Polizei, INPOL) verbunden. Diesen Datenabgleich führten die polizeilichen Einsatzkräfte auch entgegen vorheriger Absprachen mit der Versammlungsbehörde bei mindestens einem*einer Ordner*in durch. Ein Beamter sprach in diesem Zusammenhang von Missverständnissen zwischen den Behörden.
Gegen 18:15 startete die Demonstration. Auf dem Weg zur Zwischenkundgebung an der Annenkirche, wo der Protest zum zweiten Mal in Hör- und Sichtweite zum Schweigemarsch für das Leben kundgetan wurde, filmte die Polizei die Versammlung stellenweise ab. Dies geschah unter anderem von einem auf einem Wagen der Polizei befestigten Korb, sodass die sich darin befinden Beamten auch detaillierte Aufnahmen von Teilnehmenden machen konnten. An der Annenkirche wurde zusätzlich zu mehreren Handkameras ein Kamerawagen eingesetzt. Angesichts der gesteigerten Überwachung war es umso weniger verständlich, warum Einsatzkräfte Transparente herunter rissen und den Betroffenen vorwarfen sich mit diesen zu vermummen. Ebenfalls an diesem Ort wurde eine Person aus der Demonstration entfernt und hinter die Einsatzfahrzeuge verbracht.
Besonders problematisch stellte sich das Verhalten der Polizeiführung gegenüber dem*der Versammlungsleiter*in dar. Schon zu Beginn weigerte sich eine leitende Einsatzkraft mit der Versammlungsleitung zu sprechen, wenn diese ihre*n Anwält*in dabei habe. Als der*die Versammlungsleiter*in sich an der Annenkirche gegen das zunehmende Abfilmen der Teilnehmenden aussprach, wurde er*sie ohne ein Eingehen auf die Problematik abgewiesen. Dies gipfelte darin, dass zum Ende der Veranstaltung in der Geyersdorfer Straße die Versammlungsleitung von mehreren Einsatzkräfte festgehalten, abgeführt, dabei über den Boden geschleift und dann für einige Minuten hinter einem Einsatzfahrzeug festgehalten wurde. Dem Betroffenen wurden die Hände verdreht. Die noch nicht beendete Versammlung empörte sich angesichts dieses Vorgehens, insbesondere als der rechtliche Beistand nicht zu der Maßnahme vorgelassen wurde. Auch einem anwesenden Mitglied des sächsischen Landtags wurde ein Näherkommen verwehrt.
Abgesehen von diesen Situationen kam es auch an anderen Stellen zu Fehlverhalten: Als eine*ein Betroffene*r einer polizeilichen Maßnahme von dem Beamten verlangte sich gemäß dem insoweit eindeutigen § 8 SächsPolG auszuweisen, wurde diese Pflicht durch die Einsatzkraft schlichtweg geleugnet. Tanzende Teilnehmende wurden durch am Rande stehende Polizist*innen offen ausgelacht. Hervorzuheben ist auch das Verhalten eines Beamten einer Chemnitzer Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit: Nachdem dieser vergeblich versucht hatte die Demobeobachtung zur Dokumentation des Zustandes des Versammlungsortes zu bewegen äußerte er: „Es sieht aus wie Fotze.“
Hier muss sich die Frage gestellt werden, ob die Grundrechtseingriffe, denen die Teilnehmer*innen ausgesetzt waren, ihre Grundlage nicht auch in diesem unprofessionellen, teils anscheinend von persönlichen Aversionen geprägten Verhalten haben.