Protest wird eingeschränkt und verhindert. Kontrollbereich durch die Polizei in weiten Teilen der Innenstadt eingerichtet. Arbeit der Demobeobachtungsgruppe wird behindert.
Am 23.02.2015 wurden, wie bereits am vergangenen Montag, die Protestveranstaltungen gegen LEGIDA, insbesondere die von dem Bündnis Refugees Welcome organisierte Kundgebung und das nachfolgende Geschehen, durch die Demobeobachtungsgruppe Leipzig begleitet.
Im Gegensatz zur vergangenen Woche konnte durch LEGIDA am 23.02.2015 ein Demonstrationszug durchgeführt werden.
Die stattfindenden Gegenproteste gerieten dabei stark in den Fokus polizeilicher Maßnahmen.
Laut Aussage der Polizei wurde von 16.00Uhr bis 24.00Uhr ein Kontrollbereich rund um das Aufzugsgebiet errichtet. Innerhalb dieses Bereichs (Eckpunkte: Hauptbahnhof, Gerberstraße, Katharinenstraße, Brühl, Universität Leipzig, Roßplatz, Mendelssohn Haus, Johannisplatz, Grassimuseum, Täubchenweg, Dresdnerstraße, Salomonstraße, Chopinstraße, Hauptbahnhof) wurden so Personenkontrollen nach § 19 Abs. 1 Nr. 6 SächsPolG ermöglicht.
Zahlreiche Personen drückten ihren Protest zu LEGIDA auf unterschiedliche Weise aus. So kam es neben den vorab angemeldeten Gegenveranstaltungen zu Blockaden, Spontanversammlungen und verbalen Unmutsäußerungen am Rande des Aufzugs. Der Umgang der Polizei mit diesem wird im Folgenden anhand einiger Beispiele dargestellt:
Der Zugang zu einer geduldeten Eilversammlung im Bereich Querstraße/Czenerkas Garten wurde aus beiden Richtungen verhindert, obwohl die Beamt*innen vor Ort den Zugang kurz zuvor zugesichert hatten. Später wurde den dort noch befindlichen Personen das Verlassen des Ortes in jegliche Richtung verweigert, obwohl der Aufzug von LEGIDA zu diesem Zeitpunkt bereits eine andere Route eingeschlagen hatte. Versuche, sich durch einen angrenzenden Park zu entfernen wurden unverzüglich mittels Einsatz von Pfefferspray, Tritten und Schlägen unterbunden. In der Dörrienstraße/Querstraße wurden Personen ohne ersichtlichen Grund durch Polizeikräfte eingekesselt, und eine Person unter Einsatz von Schmerzgriffen abgeführt.
An anderer Stelle (Czernaks Garten/Salomonstraße) wurde Protest in Hör- und Sichtweite verunmöglicht, indem Protestierende von der bereits stark abgesicherten LEGIDA-Demonstartionsroute um 50 Meter entfernt wurden.
Eine Sitzblockade in der Salomonstraße/Großer Brockhaus wurde aggressiv geräumt. Hier wurde eine Person mit einem Polizeiauto (Kennzeichen der Demobeobachtungsgruppe bekannt) bewusst angefahren. Mehrere Menschen wurden zu Boden und Treppen hinunter gestoßen. Dabei wurde auch gegen anwesende Pressevertreter*innen vorgegangen. Ihnen wurde die Wahrnehmung ihrer Aufgaben verwehrt.
Besonderes hervorzuheben sind die Vorkommnisse am Johannisplatz. Hier hatte sich eine große Menschenmenge versammelt. Anfangs hielt sich die Polizei zurück. Mit Herannahen des LEGIDA-Aufzugs, welchen die Polizei nicht stoppte, geriet sie zunehmend unter Zugzwang.
Um die Straße zu räumen wurde ein Teil der Personen mit Schlägen und Tritten zwischen den sehr eng geparkten Fahrzeugen der Polizei in die Querstraße abgedrängt. Dabei kam es zu mindestens einer Festnahme. Beobachtet wurde die Fesselung einer Person mittels Kabelbinder und die Fixierung durch zwei Beamte über längere Zeit an einem Auto. Nachdem schließlich der Johannisplatz/Grimmaischer Steinweg freigeräumt war, wurde der LEGIDA-Aufzug eng an den Gegenprotestierenden vorbeigeführt. Hierbei erfolgte eine Trennung beider Seiten lediglich durch eine Polizeikette, welche in Richtung Augustusplatz zudem größere Lücken aufwies. Ein Feuerwerkskörper, geworfen aus dem LEGIDA-Aufzug, landete vor den Füßen eines Beamten. Anstatt auszuweichen beförderte der Beamte den Feuerwerkskörper mit einem gezielten Tritt in die Reihen der Gegendemonstrant*innen, wo dieser auch detonierte.
Flächendeckend kam es zum Einsatz von Handkameras sowie mehreren Kamerawagen, außerdem kreiste ein Hubschrauber über dem Geschehen. Drei Polizeihunde ohne Maulkörbe wurden in unmittelbare Nähe zu friedlichen Protestierenden geführt. Vermehrt waren Polizist*innen nicht bereit sich bei der Ausübung von Maßnahmen den Betroffenen gegenüber auszuweisen. Ernsthafte Auseinandersetzung mit Kritik oder Vorwürfen erfolgte nicht. Protestrufe gegenüber LEGIDA wurden durch die Polizei absichtlich falsch verstanden und auf sich selbst bezogen. Es kam mehrfach zum Einsatz von Pfefferspray. Mindestens sechs Personen mussten daraufhin durch anwesende Sanitäter*innen behandelt werden. Mindestens zweimal wurden im Umfeld von polizeilichen Maßnahmen Fahrräder ohne ersichtlichen Grund durch Beamt*innen beschädigt.
Auch die Demonstrationsbeobachtung Leipzig konnte ihrer Arbeit nicht ungehindert nachgehen. So wurde der Zugang zu versammlungsrechtlich relevanten Situationen mehrfach verweigert und bei konkreten Beobachtungen Platzverweise und Anzeigen angedroht. Obwohl eine Ankündigung der Demonstrationsbeobachtung wie stets erfolgte, wurde dies unter den Einsatzkräften nicht ausreichend kommuniziert, was die Arbeit und Berichterstattung der Demobeobachtungsgruppe sowie der Polizei unnötig erschwerte.
Es muss festgehalten werden, dass oftmals grundlos die Versammlungsfreiheit eingeschränkt wurde. Zudem wurde vielmals mit unangebrachter Härte gegen Protestierende vorgegangen. Insgesamt stellt sich des Weiteren die Frage, ob die Gefahrenprognose der Polizei bezüglich der letzten Wochen eine eindeutige Fehleinschätzung darstellt, oder ob die Polizei heute im Bereich des Johannisplatz eine Eskalation bewusst in Kauf nahm. Die Behörden gingen von einem hohen Gewaltpotential auf Seiten der Gegendemonstrant*innen aus. Auch heute zeigte sich diese Gefahrenprognose in dem Verhalten der Polizei, obwohl aus dem LEGIDA-Aufzug Feuerwerkskörper und eine Flasche auf die Gegendemonstrant*innen geworfen wurden.
Lena Zeidler, Pressesprecherin der Demobeobachtung Leipzig, schätzt die Situation wie folgt ein:
„In zeitlich-räumlich verdichteten Situationen hat die Polizei sich einseitig für die Durchsetzung des LEGIDA-Aufzugs entschieden und somit grob fahrlässig äußerst gefährliche Situationen für die Gegendemonstrant*innen geschaffen.“